Offener Brief an "Die Welt"
Soeben las ich diesen Artikel der Welt.
Und allein die ersten beiden Sätze
beförderten meinen Blutdruck in pathologische Höhen.
Dort heißt es nämlich: „Das
Durchschnittseinkommen Hochbetagter (in NRW) reicht laut einer Studie
oft nicht aus, um ein Altenheim aus eigener Tasche zu bezahlen. DAS
LIEGT AN vergleichsweise FAIREN LÖHNEN FÜR PFLEGEKRÄFTE.“
Zwei Skandale in zwei Sätzen:
- Die Rente vieler Pflegebedürftiger geht offenbar zu 100% für eine stationäre Unterbringung drauf, so dass Sozialämter noch zusätzlich einspringen müssen, sobald sämtliche Vermögenswerte verfrühstückt wurden.
- Schuld daran sind natürlich die fiesen Pflegekräfte, die so etwas wie eine „faire Entlohnung" fordern. Wo gibt es denn sowas?
Ach ja, in NRW gibt es so etwas. Da
werden angeblich in Borken Pflegekräften satte 3175 Euro brutto
durchschnittlich hinter her geworfen. Pfui! Wie unverschämt ist das
denn? Rechnet man die Zulangen für Spät- und Nachtdienste sowie für
Sonn- und Feiertagsarbeit heraus, bliebe da ja ein sagenhaftes Grundgehalt von...
Ach lassen wir das. Es ist einfach
unverschämt und gemein den zu Pflegenden gegenüber.
Die pflegerischen Fachkräfte im Osten
Deutschlands machen es schließlich vor. In Leipzig zum Beispiel. Da
buckeln die Kollegen auch rund um die Uhr und sind dankbar für ganz
doll viel politisch-verbale Anerkennung, zweimal im Monat ein „Also
deinen Job könnte ich ja nicht.“ des Nachbarn und ein Durchschnittseinkommen von 1714 Euro brutto. Na geht doch. Und schon
kostet der Heimplatz wenig genug, dass Tante Hildegards Witwenrente
ausreicht und weder ihre Angehörigen noch das Sozialamt mit
irgendwelchen zusätzlichen Kosten belästigt werden.
Und jetzt mal im Ernst:
Was stimmt mit
Euch nicht?
Wir Pflegekräfte sind doch kein beschissener
Kostenfaktor. Wir sind Menschen. Menschen, die es zu ihrem Beruf
gemacht haben, professionell Alte und Kranke zu pflegen. Menschen,
die mit diesem Beruf ihr Leben finanzieren müssen. Vielleicht auch
eine Familie ernähren. Menschen, die womöglich mal in Elternzeit
gehen wollen (Elterngeld!). Menschen, die ein erhöhtes Risiko haben,
selber krank zu werden (Krankengeld!). Menschen, die sofern sie sich
nicht vorher tot schuften, auch nach ihrem Berufsleben über die
Runden kommen wollen (Rente!).
Lieber Welt Schreiberling, haben Sie
eigentlich daran gedacht, dass für all diese Dinge, also von
Elterngeld bis Rente, die Zulangen für Nacht- Feiertagsarbeit etc.
oder wie wir es nennen „das Schmerzensgeld für den Verzicht auf
ein Sozialleben“ völlig irrelevant sind? Es zählt einzig das
Grundgehalt. Und das muss man jetzt nicht mal detailliert ausrechnen
oder Borken mit Leipzig vergleichen, um auf den ersten Blick zu
erkennen „Oh, das könnte knapp werden.“
Natürlich kann man sich darüber
freuen, dass Sozialämter in Ostdeutschland seltener einen Heimplatz
bezuschussen müssen. Blöd nur, wenn dafür die Familien der
Pflegekräfte auf sogenannte „Aufstockung“ angewiesen sind oder
ehemalige Pflegende Grundsicherung benötigen, nicht wahr?
Wenn Sie den Finger in die Wunde legen
wollen, dann fragen Sie doch mal, wie es dazu kommen konnte, dass
viele Renten zur Finanzierung einer menschenwürdigen Versorgung
pflegebedürftiger Senioren zu niedrig sind!
Fragen Sie, wie es dazu kommen konnte,
dass eben jene, die diese wichtige Aufgabe übernehmen, einzig als
Kostenfaktor betrachtet werden!
Fragen Sie, wie eine Gesellschaft
Jahrzehnte lang bei den Themen Krankheit, Pflege im Alter und Tod
einfach weg sehen konnte!
Fragen Sie, warum jeder gut versorgt,
aber niemand dafür bezahlen möchte!
Für die Zukunft gebe ich ihnen einen
Tipp: Wenn sie etwas zum Thema Pflege schreiben wollen, vermeiden sie
es so zu tun, als würde irgendwo in Deutschland die hoch
professionelle, zwingend notwendige, physisch wie psychisch
anstrengende Arbeit meiner Kollegen, von der Menschenleben abhängen,
auch nur annähernd adäquat entlohnt.
Pflegenotstand? Da war doch was. Liegt
wohl kaum an der tollen Entlohnung und den supi Arbeitsbedingungen,
dass viel zu wenige einen der Pflegeberufe ergreifen bzw. zu viele
bereits nach kurzer Zeit wieder aussteigen, oder?
Außerdem vermeiden Sie bitte den
armseligen Versuch, Gesunde (also Einzahler in Pflege- und
Krankenkasse), Pflegebedürftige und Pflegekräfte gegeneinander
auszuspielen, in dem Sie irgendjemanden einfach zum Kostenfaktor
degradieren, für den dann „ein Anderer“ aufzukommen hat.
Es sind Menschen, die es verdient haben
menschenwürdig gepflegt zu werden.
Und es sind Menschen, die Überstunden
machen und bis an ihre physischen und psychischen Grenzen gehen um
eben genau das tun.
Teilweise für 1714 Euro brutto und
drunter. Denken Sie mal darüber nach!
Eure schwerst mehrfach angesäuerte
@emergencymum
2 Kommentare:
Ich habe mit großem Interesse den sehr ausführlichen und durch viele Zahlen und Fakten belegten Artikel der Welt gelesen und auch deinen Kommentar dazu. Gerne würde ich ein paar Worte dazu schreiben:
Ich als gut betuchte Teilzeit-Arzthelferin, die nebenbei hobbymäßig in einem Pflegeheim auf 450-Euro-Basis arbeitet, da dauerndes shoppen extrem auf den Rücken geht, möchte mir auch einen schönen Heimplatz später leisten können. Dazu ist es unabdingbar, den wohl größten Kostenfaktor "Mensch" zu reduzieren in Form von Senkung der Gehälter. Ich kann mir auch sehr gut vorstellen, dass in einem bestimmt modernen, an die Bedürfnisse alter Menschen angepassten Pflegeheim in Leipzig, der unter 100 € pro Tag kostet, genug Personal vorhanden ist, damit dieses sich auch wirklich mehrere Stunden pro Tag ausschließlich mit mir beschäftigen kann. Immerhin reden wir von einem sagenhaften Brutto-Gehalt von über 1500€. Auch kann ich mir vorstellen, dass sich Jugendliche um diese Art von Beruf um die Ausbildungsplätze beinahe schon schlagen, denn wer möchte nicht, bis ca. 67 andere Menschen aus dem Bett heben, waschen, essen eingeben oder ähnliches? Oder sich Wochenenden, Nächte, Feiertage um die Ohren hauen, um fast permanenten Stress zu haben, der sich natürlich nicht auf die Bewohner überträgt?
Zu der Situation in meinem Pflegeheim.
Ich arbeite auf der "geschlossenen Station". Wir haben 25 teilweise bettlägerige Bewohner. Pro Schicht laufe ich einige hunderte von Metern, komme regelmäßig ins Schwitzen, wenn ich 70-90kg aus dem Bett heben oder auch nur umlagern soll. Wir sind teilweise nur zu zweit. Natürlich erleichtert uns die "Zeitplanung" eine ganze Menge, denn bei teilweise schwer an Demenz erkrankten Bewohnern ist es natürlich einfach, zu sagen, wie viele Minuten man für Waschen, anziehen oder ähnliches benötigt. Ich bekomme gigantische 10€ die Stunde (gut, ich bin keine gelernte Altenpflegerin), dazu Nacht-, Sonntags- und Feiertagszuschlag. Ein Supermarkt im Ort hätte das selbe Gehalt geboten. Sonn- und Feiertag geschlossen. Ich koste also jedem Bewohner die Stunde 40 Cent. Sehr unverschämt von mir.
"Vergleichsweise fair" heißt es. Wer hat bitte das Recht, zu bestimmen, welches Gehalt "fair" ist, wenn es um die Pflege von Menschen geht, die 50 Jahre oder mehr gearbeitet haben, sich eine Zukunft aufgebaut haben, für das Alter vorgesorgt haben, nur um dann zu merken: "Es reicht einfach nicht!"
Tja, vielleicht hätte ich etwas gescheites lernen sollen. So wie viele aus dem medizinischen Bereich auch. Oder vielleicht kehren die, die solche Aussagen machen, auch einmal vor der eigenen Türe. Ich lade jeden gerne ein, ein Praktikum in meinem Heim zu machen. Ich lade jeden ein, einen Monat das zu tun, was Pflegekräfte tagtäglich tun für unsere Eltern, Großeltern, für die Menschen, die uns das Beste versucht haben mit auf den Weg zu geben.
Mir wird es Angst und Bange, wenn ich daran denke, auch einmal in einem Heim zu enden. Und dennoch weiß ich, dass es immer wieder Menschen gibt, die trotz der miesen Bezahlung, trotz der Aussicht, sich das, was sie jeden Tag geben, niemals selbst leisten zu können, ALLES geben, damit es jedem Bewohner so gut wie möglich geht. Und das mit Herz, Liebe, Leidenschaft.
Und ich bin froh, ein Teil davon sein zu können.
Schichtarbeit, Wochenenden, 30 bis 50 Überstunden im Monat, ständige telefonische Erreichbarkeit, falls man mal wieder für jemanden einspringen muss und das für unter 1700 brutto? Das kommt mir bekannt vor, in meiner Branche (Elektroniker in Leiharbeit) haben wir diesen Mist auch. Und es kotzt einen nicht nur an, es macht schlicht und ergreifend krank.
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