Freitag, 10. Juli 2015

Pflege Heute,... und Morgen

Wo geht sie hin, die Pflege?


Ich sage es mal frei raus wie ich es sehe:

So, wie wir sie kennen, geht sie den Bach runter!


Gut ihr könnt mich jetzt einen Pessimisten nennen, aber ich sehe kaum eine Möglichkeit die Situation zu verbessern. Natürlich bin ich schwer begeistert, dass die Pflege jetzt mittwochs Twitter mit dem #Pflegestreik unsicher macht. Allerdings sehe ich auch, dass das mediale und politische Echo nahe Null ist.
Gut, man kann jetzt fragen, ob es niemanden interessiert? Ich sage, die Frage ist so delikat, dass man die Antworten nicht verkaufen kann.

Die Frage, die von den Pflegenden in den Raum gestellt wird ist: Was empfindet ihr als würdige Pflege? Wir leiten daraus einen Personalschlüssel ab in dem professionelle Pflege menschenwürdig leistbar erscheint.

Das ist eine berechtigte Frage!
Ich aber lege mal einen drauf: Ist diese Art von Pflege überhaupt in mittelfristiger Zukunft bezahlbar oder leistbar?

Jetzt müssen sicher einige schlucken, ein Pfleger der die Pflege in Zweifel zieht?
Ja, wir müssen uns auch mal mit den Tatsachen befassen.

Halten wir uns mal an die Fakten:
Die Pflege leidet unter ständiger Unterbesetzung, das macht die Pflegenden kaputt und gefährdet Patienten. Ständiges Einspringen führt zu Konflikten im Privatleben.

Das sind grob die Kernaussagen, die man aus den Tweets zu #Pflegestreik destillieren kann.
Die Beispiel sind zwar konkreter aber ich denke mit dieser Näherung können wir arbeiten.
Was hat das mit der Frage der medialen und politischen Rezeption zu tun?
Ich glaube, das hat was mit dem Konzept zu tun, dass man sich anbahnende Katastrophen als lösbar darstellen muss, um es in den Medien zu verkaufen. Angst vor der Katastrophe soll gezielte Handlungen auslösen. Das verkauft sich prima.

Ich behaupte, das was wir jetzt vor uns haben ist eine nahezu ausweglose Situation!

Punkt 1 dazu ist:
Wir brauchen jetzt akut neue Kollegen. Ein Wunsch dessen Erfüllung im jetzigen System unerreichbar erscheint. Denn: Wir bekommen nur neue Leute in die Pflege wenn zumindest das Gehalt attraktiver wird. Das scheint aber zur Zeit aussichtslos. Dieser logische Schluss ist eigentlich allen klar. Man bekommt für diese Löhne niemanden in die Pflege zurück und Neuanfänger werden auch nicht in Scharen strömen. Ich behaupte die Arbeitsbedingungen sind abhängig von der Lohnstruktur.
Jetzt könnte man sagen, dann müssen die Klinikbetreiber mal ne Schüppe drauflegen. Das könnten manche vielleicht, andere, die rote Zahlen schreiben gewiss nicht. Gut, dann müssen wir den Ball an die Politik spielen.

Da sind wir dann bei Punkt zwei:
Da kommen wir der Brisanz des Themas schon näher. Es wäre ein leichtes für die Politik einen verbindlichen Pflegeschlüssel von sagen wir mal 1:5 im Stationsdienst gesetzlich festzuschreiben und diesen zu finanzieren. Wir wären unserer Forderung schon ganz nah.

Bis hierhin klingt das doch alles nach einem guten Wege, auf den wir uns mit #Pflegestreik gemacht haben.

Ich fürchte nur die Sache hat einen gewaltigen Haken, der so groß ist, dass allein das Wissen darum das Gesundheitssystem wie ein Tsunami treffen könnte. Klingt gefährlich, ist es in meinen Augen auch.

Um das zu erklären muss ich ein wenig ausholen, nicht bis Adam und Eva aber schon ziemlich weit.
Es gab schon seit ewigen Zeiten folgende Regel: Jede Generation ist größer als die Vorhergegangene.
Das hat dazu geführt, dass viele Junge wenigen Alten gegenüberstanden. Aus dieser Überzeugung wurden die deutschen Sozialsysteme geformt.
Aber dann kam alles anders.
Ich will jetzt nicht darüber diskutieren, ob diese Entwicklung gut oder schlecht ist, es soll auch nicht als Zynismus verstanden werden. Aber es zeigt wie tief diese Problem in unserer Gesellschaft verankert ist.

Nach dem Krieg wurden also die Sozialsysteme als Umlagesystem geformt, weil man viele Menschen zu versorgen hatte aber kaum Geld dafür. Eigentlich ein genialer Plan, der aber einen Geburtsfehler hat. Die Erfahrung, dass es immer weniger Alte und Kranke gibt als Junge.
Aber wer soll es den Menschen von damals vorwerfen, es war ja immer so.
Dann kam Wirtschaftswunder und beginnender Wohlstand, die Leute bekamen Kinder, alles lief.
Dann änderte sich offensichtlich was in den Köpfen, die Menschen bekamen weniger Kinder, wobei die Pille sicher gut mitgeholfen hat, aber auch die Erkenntnis, dass der Staat und nicht meine Kinder meine Altersversorgung stemmen wird.
Ein kluger Plan für den einzelnen, für das Land eine Zeitbombe ohne Möglichkeit zur Entschärfung. Warum? Gehen wir ca. 50 Jahre zurück, die größte Generation Deutschlands erblickt das Licht der Welt und weil es nie eine größere gab gehen die Lichter aus, unaufhaltsam. Verschärft von einigen unangenehmen Begleitumständen, die wir als unsere Freiheit bezeichnen würden.
Wir wurden mobiler, verließen auf Grund des Wohlstandes der Eltern immer öfter unsere Familien um mit unserer Bildung ein eigenes unabhängiges Leben zu führen. Das klingt gut, fühlt sich auch so an. Aber, ja es hat ein dickes ABER, denn dadurch werden große Familienverbünde zur Seltenheit mit folgenden Konsequenzen: Die Betreuung von Kinder wird schwieriger. Das merken wir heute schon, frei nach dem Motto wo früher noch ne Oma war ist heute eine Kita da... oder eben auch nicht.
Was uns dann aber bald einholen wird, ist ebenso flapsig ausgedrückt: Wo früher die Familie war ist heute nur ne Schwester da! Und auch hier, oder auch nicht!
Oft ist es heute schon so, dass einer Familie vier potentielle Pflegebedürftige gegenüberstehen, nämlich die Eltern des Paares, und selbst bei räumlicher Nähe, die heute immer seltener wird, wäre es schon ein Kunststück, das allein zu schaffen.
Da also muss jetzt professionelle Pflege und auch Betreuung einspringen.

Das ist das eigentliche Drama, auf wenige Junge kommen viele Alte zu, die versorgt werden müssen. Ich las neulich, dass in nicht all zu ferner Zukunft jeder zweite Schulabgänger einen Beruf im Gesundheitswesen ergreifen müsste um die jetzige, in meinen Augen völlig unzulängliche, Versorgung aufrecht zu erhalten.

Wir wünschen uns für unser Alter eine andere Wohnform als ein Altenheim der klassischen Art, wir möchten Individualität bis zum Schluss leben. Ich behaupte das wird nix! Das ist leider nicht drin, weder finanziell noch personell, denn dieses Geld müsste von der nachfolgenden Generation erarbeitet werden, und das ist schon mit Wirtschaftswachstum und Produktivitätsgewinn schwerlich möglich.
Was hat das jetzt mit der Ausgangsfrage zu tun, warum Medien und Politik sich nur sehr zögerlich bis gar nicht auf unser Anliegen eingehen?
Bei der Politik ist sicherlich der Hauptgrund, dass man nicht einräumen will, dass Bevölkerungspolitik und Arbeitsmarktpolitik zu einer Verschärfung eines Problems geführt haben, was von jedem halbwegs begabten Statistiker schon seit 30 Jahren vorhergesagt wird. Ja, man hat sich vor dem Problem gedrückt, weil die größte Wählergruppe Ursache des Problems ist, die Babyboomer. Klar haben die sich das nicht ausgesucht, aber es ist ja auch keine Schuldzuweisung, sondern nur eine Tatsache.

Jetzt kommen die Medien ins Spiel, warum die nicht? Ich denke da sind mehrere Dinge im Spiel. Erstens hat man wichtigeres im Kopf, nälich das hier und jetzt. Dann kommt dazu, dass viele Entscheidungsträger der Medien genau in die Babyboomergeneration gehören. Das hängt nun direkt mit dem nächsten Punkt zusammen. Die Beleuchtung dieses Themas würde eine Frage aufwerfen, und zwar: Wieviel Menschenwürde können wir uns überhaupt leisten bis die Gesellschaft zerbricht?
Das klingt jetzt böse, oder?
Ist aber Kern des Problems und ich denke, dass Verantwortliche in den Medien das auch wissen. Es ist ein Thema was, wenn man es bis zuletzt durchdenkt, Revolutionspotential hat.
Man müsste für eine sachliche Diskussion, fast alles über Bord werfen, was man für politisch korrekt oder für sozial geboten hält. Man müsste Fragen stellen, die so in Deutschland nie mehr gestellt werden sollten, wie zum Beispiel. Wie lange „lohnt“ sich eine medizinische Vollversorgung?
Müssen wir eher palliativ als kurativ handeln, wenn der Patient zu alt/zu krank ist? Wo ist da die Grenze?
Das sind Fragen, die uns kalt erschaudern lassen, aber ich denke darauf läuft es hinaus.
Dass diese Fragen aber niemand aufwerfen will und schon gar nicht die Generation, die es betrifft ist überraschend. Es gehört zu unseren moralischen Vorstellungen Bevölkerungsgruppen nicht gegeneinander auszuspielen. Jeder Mensch ist gleich viel Wert, ist ein Axiom unserer Gesellschaft.

Deswegen denke ich das Problem ist, in dem Gesundheitssystem und auch im Gesellschaftssystem von heute als unlösbar zu betrachten und genau deswegen will und kann niemand darauf eingehen. Es wäre deutlich mehr als eine Reform nötig, sondern eine Grundsatzdiskussion über unsere Werte und Vorstellungen und zwar offen und tabulos! Man muss tatsächlich diskutieren ob es ethisch vertretbar ist einen Menschen medizinisch zu behandeln damit er danach in einem Pflegeheim im Bett einsam verotten darf, nur damit wir uns moralisch besser und frei von Schuld fühlen. Wir müssen uns viele Dinge fragen, nach dem Verhältnis von Würde und Existenz. Ist die reine physische Existenz erstrebenswert wenn wir ihr keine Würde mehr verleihen können? Muss ein Patient von 80 Jahren ein neues Gelenk mit 40 Jahren Haltbarkeit bekommen, oder geht es auch anders. Kurz, muss alles was man behandeln kann auch behandelt werden, oder gibt es Dinge die wir im Alter ertragen müssen? Das ist die Diskussion die geführt werden müsste!

Ich schlage vor diese zu führen, bevor die Sache den Bach runter geht.
Alter, Krankheit und Tod sind keine Winner Themen, gerade in unserer Zeit.
Aber es ist nötig, dass wir diese Themen angehen, bevor es zu spät ist.


Bis das soweit ist mache ich weiter mit beim #Pflegestreik, denn wir können nicht warten bis es zu spät ist. Wir leiden jetzt schon unter der Situation, wir unser Familen unsere Patienten. Je länger nicht über die Probleme der Pflege gesprochen wird, um so schwerer wird das Umsteuern. Wir sind es euch schuldig, die Diagnose zu überbringen: Der Patient Gesundheitswesen ist krank und wenn wir nicht radikal behandeln wird er es nicht schaffen! Aber dafür müsst ihr uns zuhören!

Euer

Garcon de Piss

1 Kommentar:

Yannitha hat gesagt…

Leidr besteht iese Diskussion um Würdiges Leben und Sterben schon eine ganze Weile so geschätzte 30 Jahre ohne das es der Bevölkerung bewusst wurde.
Ich bin seit 35 Jahren in der Altenpflege tätig und damals hatten wir im Frühdienst eine Pflegeschlüssel von 1 zu 5, wobei examinierte wie nicht examinierte Kollegen beschäftigt waren.
Dann wurde rationalisiert und zwar aus Kostengründen. Eine große Grundpflege im Bett zeitlich begrenzt auf 12,5 Minuten- statistisch gesehen und Berechnet auf die Pflegesatzvereinbarungen. Wenn die Kollegen mehr Lohn wollen, müssen sie schneller undeffizienter arbeiten, das heißt Stellen wurden gestrichen. In dr letzten stationären Einrichtung hatten wir im Frühdienst einen Pflegeschlüssel 1 zu 11, examiniert wie nicht examiniert.
Akkordarbeit, bei der viele Kollegen auf der Strecke bleiben.
Als ich vor 30 Jahren jemanden, der verantwortlich war für die Berechnung von Pflegeschlüsseln und Pflegesatzvereinbarungen, fragte wie man dabei denn noch gut pflegen sollte, bekam ich als Antwort, dass wir immer noch zu gut pflegen würden, denn kein Staat könne sich so viele Alte, Kranke und Behinderte leisten. Politisch ist dieses Dilemma also schon lange bekannt und poliisch wird auch einiges getan, so zum Beispiel das Gestz für ein menschenwürdiges Sterben und die Einführung der SAPV, letzlich nur eine möglichkeit das Leben Sterbenskranker menschenwürdig zu verkürzen, auch die Diskussion um Patientenverfügungen und deren ausgefeilte Formulierungen zielen in die gleiche Richtung, ebenso der assistierte Suizid. Und diese Diskussion entspringt der Generation der Babyboomer, es werden jetzt schon Dementenwohngemeinschaften eingerichtet, die fast ausnahmlos von Alltagsmanagern versorgt werKollegenden und für pflegerische Maßnahmen ein ambulanter Pflegedienst beauftragt. Auch die Entbürokratisierung der Pflegedokumentation hat letztlich nur den Sinn Geld langfristig zu sparen, es darauf abzielt nicht examinierte und ausländische Mitarbeiter mit wenig Deutschkenntnissen einzubeziehen und Geld zu sparen, denn was nicht dokumentiert wird muss auch nicht bezahlt werden.Das Pflegestärkungsgesetz zielt nur darauf, dass die Patienten niederschwellige Betreuung bezahlt bekommen, sprich mit wenig fachlicher Betreuung. Der BPA hat in seiner letzten Bundesversammlung beschlossen einen eigenen Arbeitgeberverband zu gründen um Tarifvehandlungen besser zu steuern und eine Gewinnmaximierung zu erzielen und nebenbei Kollegen in Thailand und auf den Philipinen zu rekrutieren, die angeblich motivierter und qualifizierter als deutsche Mitarbeiter sind. Also sag nicht es wird nichts getan, aber wohl nichts, was eine Pflegefachkraft ruhig schlafen liesse....

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