Mittwoch, 12. Oktober 2016

Offener Brief an Die Welt

Offener Brief an "Die Welt"


Soeben las ich diesen Artikel der Welt.

Und allein die ersten beiden Sätze beförderten meinen Blutdruck in pathologische Höhen.
Dort heißt es nämlich: „Das Durchschnittseinkommen Hochbetagter (in NRW) reicht laut einer Studie oft nicht aus, um ein Altenheim aus eigener Tasche zu bezahlen. DAS LIEGT AN vergleichsweise FAIREN LÖHNEN FÜR PFLEGEKRÄFTE.“

Zwei Skandale in zwei Sätzen:

  1. Die Rente vieler Pflegebedürftiger geht offenbar zu 100% für eine stationäre Unterbringung drauf, so dass Sozialämter noch zusätzlich einspringen müssen, sobald sämtliche Vermögenswerte verfrühstückt wurden.

  1. Schuld daran sind natürlich die fiesen Pflegekräfte, die so etwas wie eine „faire Entlohnung"  fordern. Wo gibt es denn sowas?

Ach ja, in NRW gibt es so etwas. Da werden angeblich in Borken Pflegekräften satte 3175 Euro brutto durchschnittlich hinter her geworfen. Pfui! Wie unverschämt ist das denn? Rechnet man die Zulangen für Spät- und Nachtdienste sowie für Sonn- und Feiertagsarbeit heraus, bliebe da ja ein sagenhaftes Grundgehalt von...
Ach lassen wir das. Es ist einfach unverschämt und gemein den zu Pflegenden gegenüber.
Die pflegerischen Fachkräfte im Osten Deutschlands machen es schließlich vor. In Leipzig zum Beispiel. Da buckeln die Kollegen auch rund um die Uhr und sind dankbar für ganz doll viel politisch-verbale Anerkennung, zweimal im Monat ein „Also deinen Job könnte ich ja nicht.“ des Nachbarn und ein Durchschnittseinkommen von 1714 Euro brutto. Na geht doch. Und schon kostet der Heimplatz wenig genug, dass Tante Hildegards Witwenrente ausreicht und weder ihre Angehörigen noch das Sozialamt mit irgendwelchen zusätzlichen Kosten belästigt werden.

Und jetzt mal im Ernst:

Was stimmt mit Euch nicht?

Wir Pflegekräfte sind doch kein beschissener Kostenfaktor. Wir sind Menschen. Menschen, die es zu ihrem Beruf gemacht haben, professionell Alte und Kranke zu pflegen. Menschen, die mit diesem Beruf ihr Leben finanzieren müssen. Vielleicht auch eine Familie ernähren. Menschen, die womöglich mal in Elternzeit gehen wollen (Elterngeld!). Menschen, die ein erhöhtes Risiko haben, selber krank zu werden (Krankengeld!). Menschen, die sofern sie sich nicht vorher tot schuften, auch nach ihrem Berufsleben über die Runden kommen wollen (Rente!).

Lieber Welt Schreiberling, haben Sie eigentlich daran gedacht, dass für all diese Dinge, also von Elterngeld bis Rente, die Zulangen für Nacht- Feiertagsarbeit etc. oder wie wir es nennen „das Schmerzensgeld für den Verzicht auf ein Sozialleben“ völlig irrelevant sind? Es zählt einzig das Grundgehalt. Und das muss man jetzt nicht mal detailliert ausrechnen oder Borken mit Leipzig vergleichen, um auf den ersten Blick zu erkennen „Oh, das könnte knapp werden.“
Natürlich kann man sich darüber freuen, dass Sozialämter in Ostdeutschland seltener einen Heimplatz bezuschussen müssen. Blöd nur, wenn dafür die Familien der Pflegekräfte auf sogenannte „Aufstockung“ angewiesen sind oder ehemalige Pflegende Grundsicherung benötigen, nicht wahr?

Wenn Sie den Finger in die Wunde legen wollen, dann fragen Sie doch mal, wie es dazu kommen konnte, dass viele Renten zur Finanzierung einer menschenwürdigen Versorgung pflegebedürftiger Senioren zu niedrig sind!


Fragen Sie, wie es dazu kommen konnte, dass eben jene, die diese wichtige Aufgabe übernehmen, einzig als Kostenfaktor betrachtet werden!

Fragen Sie, wie eine Gesellschaft Jahrzehnte lang bei den Themen Krankheit, Pflege im Alter und Tod einfach weg sehen konnte!

Fragen Sie, warum jeder gut versorgt, aber niemand dafür bezahlen möchte!

Für die Zukunft gebe ich ihnen einen Tipp: Wenn sie etwas zum Thema Pflege schreiben wollen, vermeiden sie es so zu tun, als würde irgendwo in Deutschland die hoch professionelle, zwingend notwendige, physisch wie psychisch anstrengende Arbeit meiner Kollegen, von der Menschenleben abhängen, auch nur annähernd adäquat entlohnt.

Pflegenotstand? Da war doch was. Liegt wohl kaum an der tollen Entlohnung und den supi Arbeitsbedingungen, dass viel zu wenige einen der Pflegeberufe ergreifen bzw. zu viele bereits nach kurzer Zeit wieder aussteigen, oder?

Außerdem vermeiden Sie bitte den armseligen Versuch, Gesunde (also Einzahler in Pflege- und Krankenkasse), Pflegebedürftige und Pflegekräfte gegeneinander auszuspielen, in dem Sie irgendjemanden einfach zum Kostenfaktor degradieren, für den dann „ein Anderer“ aufzukommen hat.

Es sind Menschen, die es verdient haben menschenwürdig gepflegt zu werden.
Und es sind Menschen, die Überstunden machen und bis an ihre physischen und psychischen Grenzen gehen um eben genau das tun.


Teilweise für 1714 Euro brutto und drunter. Denken Sie mal darüber nach!



Eure schwerst mehrfach angesäuerte

@emergencymum

Samstag, 24. September 2016

Alle gegen die Pflege

Was ist denn da schon wieder los?

Ich habe vor ein paar Tagen einen SZ Artikel zur Situation der Krankenhäuser in München gelesen, der mich einfach nicht loslässt.
Der Artikel fing vielversprechend an um mich dann am Ende erstaunt und wütend zurückzulassen. Am Anfang ging es darum, dass die Münchener Krankenhäuser sich um Pflegepersonal bemühen müssen und dass sie dabei mittlerweile allerlei Sonderkonditionen bieten müssen um überhaupt noch Fachkräfte binden zu können.
Ich war entzückt, endlich ist es in Deutschland dazu gekommen, dass begriffen wird, Pflege ist ein Arbeitnehmermarkt. Es bewegt sich was, dachte ich.
Und dann das:

"Der runde Tisch ist erst der Einstieg in ein komplexes Thema. Mir ist wichtig, dass die Kliniken nun miteinander reden und sich nicht auf dem Arbeitsmarkt gegenseitig die Kräfte streitig machen", sagte Jacobs. Das Problem, gute Kräfte dauerhaft in der Stadt zu binden, kennen zumindest die meisten Betreiber. Doch konkrete Zahlen über die Situation in München gibt es nicht. Die eigenen Zahlen kennen alle Krankenhäuser, die der Konkurrenten eher nicht. Deshalb spendiert die Stadt zum Start des runden Tisches 100 000 Euro für ein eine exakte Analyse der Situation."

Eine Aussage der Gesundheitsreferentin der Stadt München.

Dass sich Arbeitgeber zusammen schließen um sich nicht gegenseitig dass Leben schwer zu machen, ist ja okay. Aber dass die Politik und Verwaltung dieses anstößt und auch gleich noch Geld dazu gibt, lässt mich fassungslos zurück....

Die Politik, die ständig von der armen Krankenschwester spricht, für die sich die schwere Arbeit wieder lohnen muss, will dass die Marktgesetze nicht gelten. Ich finde schon das hat echt Geschmäckle. Man versucht aktiv ein Bündnis der Arbeitgeber zu schmieden um den Forderungen der Arbeitnehmern etwas entgegen zu setzen. Anstatt die Zeichen der Zeit zu erkennen und zu begreifen, der Pflegenotstand ist da, wird analysiert und gegen die Arbeitnehmer gemauert.

Sicher, die Stadt München betreibt Kliniken, daher ist es ihr eigenes Interesse, dass sie nicht jeden Preis mitgehen wollen. Also wird hier aktiv versucht in den Markt einzugreifen. Es geht ums Geld nicht um die Pflegekräfte.
Wie ist es denn mit der immer so viel beschworenen Nachhaltigkeit?
Man will also Personal rekrutieren ohne mehr Geld in die Hand zu nehmen?
Man glaubt, man könnte so die Situation verbessern?
Wohl kaum!

Es ist Zeit, dass endlich erkannt wird, die Pflege kann ganz Deutschland in den Würgegriff nehmen wenn sie nur will! Da helfen auch keine 100.000 Euro für eine Analyse nichts. Wir sind zu wenig und das kann man nicht allein durch eine Ausbildungsoffensive ändern. Denn wenn danach die Kollegen schreiend weglaufen, weil die Bezahlung Mist ist, die Arbeitsbedingungen unerträglich, die Freizeit immer öfter unterbrochen wird und man letztendlich nur noch für den Arbeitgeber lebt, dann muss das Übel an der Wurzel gepackt werden.
Faire Bedingungen, faire Bezahlung, planbare Freizeit und vor allem Respekt gegenüber den Mitarbeitern. Dann könnte es was werden. So, liebe Freunde aus München, ist das nur der klägliche Versuch Gras auf einem Minenfeld zu sähen, das man selbst angelegt hat durch jahrelanges Wegsehen.

Aber bitte, macht nur weiter so! Das dicke Ende kommt bestimmt.

Euer

Garcon de Piss


Montag, 29. August 2016

Keine Sorge, ich bin noch da

Hallo Leute,

für alle die hier Regelmäßig reinschauen ob sich was neues an der Pflegefront getan hat:

Ja, es hat sich was getan. Zumindest bei mir persönlich. Ich werde euch bei Gelegenheit berichten. Nachdem sich die Wogen etwas geglättet haben in meinem neuen Aufgabenfeld werde ich auch weiterhin die Welt mit meinen Ansichten nerven.

Verliert den Blog also bitte nicht aus den Augen, ich nehme nur Anlauf.

Euer

Garcon 

Dienstag, 1. März 2016

Die neue verbesserte Pflege

Wie man durch eine Reform genau kein Problem löst.


In letzter Zeit habe ich mir viele Gedanken über die Arbeit und die Bedingungen in der Pflege gemacht. Da kam die Reform der Pflegeausbildung gerade recht. Endlich nimmt sich jemand der Probleme der Pflegenden an und geht Reformen an, die lange nötig waren.Als ich den Entwurf in die Finger bekam war ich irritiert. Noch in den Vorbemerkungen steht, dass die Regierung zu ihrem Entwurf keine Alternativen sieht,Wenn ich eines in meinem Leben gelernt habe, dann, dass es immer eine Alternative gibt. Aber vielleicht, so dachte ich, ist die Reform ja trotzdem gut gemacht und somit eine gute Alternative.

Es soll also eine vereinheitlichte Pflege geben, weil andere Länder das schließlich auch so machen.

Ich könnte jetzt so einige Beispiele angeben, wo Deutschland mal gepflegt drauf pfeift, was die anderen so machen, im Positiven wie im Negativen, um eine paar Schlagworte in loser Reihenfolge ohne Wertung zu nennen: Energiewende, Atomaustieg, Tempolimit auf Autobahnen, Flüchtlinge, Breitbandvernetzung und vieles anderes mehr.

Warum also sind wir grade in Puncto Pflege plötzlich so international?

Oder sind wir gar nicht so international, sondern verdecken mit diesem Argument etwas, von dem eigentlich kaum jemand Kenntnis hat. Deutschland ist nämlich ein Spezialfall und das gleich in zweierlei Hinsicht. Pflege ist in Deutschland kein akademischer Beruf. Nun könnte man mit Fug und Recht anmerken, dass die Reform eben dieses angeht. Diese Meinung kann ich nicht teilen, da nicht der Pflegeberuf als solcher akademisiert werden soll, sondern nur Teile davon. Nur ein kleiner Teil der Pflegekräfte wird das Studium zum Einstieg in den Beruf nutzen, ist die Meinung der Politik. Warum geht man davon aus?Da sind wir beim zweiten Teil der Sache. International wäre eine mit einem Abitur vergleichbare Schulausbildung nötig, um den Beruf zu ergreifen. Ob das nun sinnvoll ist oder nicht sein einmal dahin gestellt. Aber es ist, zumindest in den meisten Ländern, auf die wir uns berufen so. Auch die EU hat solche Bestrebungen, siehe hier 
Jetzt ist für mich die Frage was steckt dahinter? Warum wollen wir unser System über den Haufen werfen? Ist unser System wegen der Dreiteilung nicht in der Lage die Zukunft zu meistern?Als Begründung wird unter anderem genannt, wir müssten unser Pflegesystem robuster machen für zukünftige Herausforderungen.Dafür sollten wir uns mal überlegen, was diese Herausforderungen eigentlich sind. Das geht natürlich nicht, ohne zu betrachten welche Erwartungen an das Gesundheitssystem jetzt schon gestellt werden und welche Probleme schon jetzt bestehen.

Eine dieser Erwartungen ist, dass moderne Medizin plus die Pflege dafür sorgen, dass ich möglichst frei von Defiziten mein Leben gestallten kann. Sollte ich also erkranken oder einen Unfall erleiden, werde ich, so ist die Hoffnung, ohne bleibende Schäden davon kommen.Die andere ist, dass ich im Alter mit Unterstützung selbstbestimmt leben kann, ohne das ständig an meinen Defiziten herumtherapiert wird.

Das hört sich doch ganz vernünftig an.

Es ist auch ganz vernünftig! Deswegen haben wir ja den Unterschied zwischen Kranken-, Alten- und Kinderkrankenpflege. Verschiedene Lebenssituationen brauchen verschiedene Pflege. Soweit, glaube ich, wird mir jeder zustimmen. 
Warum sieht sich Deutschland aber genötigt, dieses System aufzugeben?Wird die Altenpflege grundsätzlich nicht mit multimorbiden Patienten fertig?Ich denke sie wird gut damit fertig. Durch den Fokus auf die Lebensqualität und ihre spezielle Ausbildung kann sie diesen Menschen besonders dann zur Seite stehen, wenn Heilung nicht mehr das primäre Ziel sein kann.

Was ist mit der Krankenpflege? Ist sie nicht in der Lage mit beispielsweise dementen Patienten umzugehen?Doch das ist sie. Zumindest für die Zeit, in der jemand im Krankenhaus ist. Aber gerade diese Zeit so kurz wie möglich zu halten ist ein Ziel der Krankenpflege.
Bei der Kinderkrankenpflege fällt mir genau kein Argument ein warum etwas geändert werden sollte.

Kinderkrankenpflege besteht in einem Spannungsfeld, das seinesgleichen sucht. Wer daran etwas ändern will, hat keine Kinder und hat sich auch nie wirklich mit kranken Kindern beschäftigt. 
Das Problem was wir alle haben ist kurz und bündig in erster Linie eines: Personalmangel.

Warum wollen wir also nochmal dieses System aufgeben? Um besser zu werden? Werden Spezialisten nicht dadurch besser, dass sie den Fokus auf ein Spezialgebiet legen?In allen anderen Berufen scheint das Konsens zu sein. Warum aber soll gerade die Pflege eine Aufwertung durch Verallgemeinerung erfahren? Oder könnte es gar möglich sein, dass es sich dabei um ein Scheinargument handelt? 

In meinen Augen spricht einiges dafür. Denn das Hauptproblem der Pflege und ihrer Qualität in Deutschland ist nicht primär die Ausbildung der Pflegekräfte. Ihre Anzahl ist der limitierender Faktor.Wie kann das sein? Jeder, der auch nur einigermaßen Wirtschaftlich denkt, weiß, Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis. Nur in der Pflege nicht, weil die Pflegenden Menschen nicht die sind, die bezahlen. Es gibt eigentlich keinen Markt.Es gibt eine Geldmenge X die zur Verfügung steht, mehr nicht. 
Was mich übrigens auch stutzig macht, dass die Arbeitgeberseite offensichtlich Feuer und Flamme für die Idee der neuen Pflegeausbildung ist.Man könnte jetzt natürlich behaupten, sie wollen schließlich die Versorgung der Patienten verbessern. Das Argument klingt gut und man hört es auch regelmäßig. Mir fehlt da allerdings der Glaube. Meine Erfahrung sagt mir, Arbeitgeber applaudieren nur, wenn sie finanzielle Vorteile sehen. Das würde kein Arbeitgeber im sozialen Bereich offen kommunizieren. Allerdings sind Arbeitgeber in der Pflege eher nicht dafür bekannt, nach verbindlichen Pflegeschlüsseln zu rufen um ihre Qualität zu verbessern.

Könnte es also möglich sein, dass es billiger ist die Generalistik zu fördern als das heutige System?

Es spricht einiges dafür. Pflege ist teuer und ihr Wert ist nicht materiell. Alles, was direkt messbar ist, sind die Kosten, die sie verursacht. Kosten an denen die gesamte Gesellschaft beteiligt ist. Es ist damit sicher auch ein Ziel, diese zu senken, das leuchtet ein. 

Andererseits ist es unklug, das offen zu sagen, denn der allgemeinen Lebenserfahrung der Menschen entspricht die Erkenntnis, dass bessere Leistung bei weniger Kosten nur mit technischem Fortschritt einher geht. Ich bin der Überzeugung, dass wirklich jedem klar sein müsste: Technischer Fortschritt in der Pflege ist eher unmöglich. Das heißt nicht, dass es keinen Fortschritt gibt, der ist aber eher akademischer Natur. Im eins zu eins Kontakt ist keine Zeit mehr zu gewinnen ohne auf Menschlichkeit zu verzichten.Deswegen glaube ich, dass Arbeitgeber in Zukunft Kostenvorteile in der Generalistik sehen. Die Senkung von Personal und Sachkosten ist nämlich die einzige Möglichkeit Gewinne zu verbessern.

Wo kann also der Vorteil der Generalistik für Pflegende liegen? 

Ein Argument ist, dass es zu einer Aufwertung des Pflegeberufs kommt. Es wird grade zu als logische Folge der Generalisierung der Ausbildung verkauft.Der Mechanismus, der dahinter steckt ist mir allerdings nicht klar.Am ehesten könnte man es damit erklären, dass Entscheidungsträger ins Ausland geschaut haben und sich überlegt haben, was die anderen anders (besser?) machen. Schließlich hat in vielen anderen Ländern die Pflege ein ganz anderes Ansehen als in Deutschland.Somit könnte das Fazit gewesen sein: Dort gibt es Generalistik und Akademisierung.Das ist sicherlich richtig aber es gibt nur beides zusammen.Was man offensichtlich nicht auf dem Schirm hatte, war die dementsprechende Bezahlung.Warum auch? Pflegekräfte selbst laufen ja rum und propagieren, dass sie lieber mehr Kollegen als mehr Geld haben wollen. Welch unbedachte Aussage. Das hört sich bei Menschen, die von der Finanzierung der Pflege wenig Ahnung haben so an, als müsse man nur genug ausbilden und alles läuft wieder Rund. Dass die Geldmenge, die für die Pflege zur Verfügung steht, aber weitgehend fix ist und droht, bei jetzigem Modell weniger zu werden, ist kaum jemandem bewusst.

Es scheint aber, dass die Entscheidungsträger sehr wohl wissen, dass eine Akademisierung auf breiter Front mit Sicherheit zu steigenden Personalkosten führen würden. Da schlägt man wohl doch lieber den Weg der Mischkalkulation ein. Wenige hochqualifizierte akademisierte Pflegekräfte für die Qualität, und generalisierte, man entschuldige mir den Ausdruck, Lastesel für die Quantität.

Das ist meiner Meinung nach nicht einmal verwerflich, wenn man es denn so kommunizieren würde.

Man redet aber nicht offen, weil unser Staat wie so oft Angst hat, dass uns Teile dieser Antwort verunsichern könnten. Man baut also ein leistungsfähiges Ausbildungssystem um, um der gewaltigen Menge an Arbeit, die in Zukunft uns alle treffen wird, irgendwie bezahlbar zu halten. Im Stillen. Nach Aussen wird es als Qualitätsverbesserung kommuniziert. Dafür muss man aber schon, ich sag es mal salopp, Nüsse haben.Dafür muss man nämlich einen Standpunkt einnehmen, den die meisten Menschen sich nicht vorstellen können, einen Standpunkt in der Zukunft.Wenn ich mir überlege wie es in 20 Jahren in Deutschland aussieht, macht es nämlich Sinn. Wir leben in einer alternden Gesellschaft, in der die körperlichen Gebrechen auch im hohen Alter immer weniger einschränken. Die Alltagskompetenzen sinken aber trotzdem, da unser Körper deutlich besser und fitter altert als unser Gehirn.Das wird dazu führen, dass sehr viel mehr an Alltagsbegleitung für unser Senioren nötig sein wird. Gleichwohl wird man mit den Jahren erfahrungsgemäß nicht gesünder.Ausserdem streben wir immer mehr zu smarten und vernetzten Lösungen.Aus dieser Sicht macht es natürlich Sinn ein Heer von Alleskönnern an der Front zu haben, die einfach nur an kompetente Stellen weitermelden.Das spart Ressourcen. Das verbessert dann die Qualität in der Zukunft, denn ein weiter wie bisher kann die Qualität keinesfalls halten. Zwar stellen sich Menschen unter Qualitätsverbesserung was anderes vor, aber eben nur weil sie ihren Standpunkt im hier und jetzt haben. 

Auch das ist an und für sich kein Problem.

Was in der Diskussion fehlt ist die Ehrlichkeit.Es geht einfach um Geld und Priorisierung. Wir können nicht mehr alles auf hohem Niveau betreiben, es wird schlicht zu teuer Spezialisten zu beschäftigen.Die Medizin macht es uns gerade vor, explodierende Kosten an allen Fronten, für zum Teil marginale Erfolge.

Kann damit die Generalisierung helfen das Problem zu lösen?
Ich denke nicht, denn das Pferd wird von hinten aufgezäumt.Es ist eine Lösung für ein Problem, was ich zur Zeit nicht habe.Das Problem ist im Moment nicht, dass uns der demographische Wandel erschlägt.Das Problem ist ein ganz akuter Mangel an Personal, das steigert den Druck auf die Kollegen und die Qualität leidet massiv. Die Folge ist eine dauernde Unzufriedenheit unter den Mitarbeitern.

Man könnte jetzt einwerfen, aber durch die Generalistik werden mehr Menschen in den Pflegeberuf kommen. Ich wage das mal zu bezweifeln. Warum sollten Menschen, die jetzt sagen der Pflegeberuf ist nichts für mich, sagen, wenn ich im Altenheim und im Krankenhaus und irgendwie überall arbeiten kann, dann entscheide ich mich sofort dafür.

Diese Ansicht es würden mehr kommen basiert nämlich auch wieder auf einem kleinen Taschenspielertrick:

Die klammheimliche Absenkung der Zugangsvoraussetzungen, also eigentlich das Gegenteil von Akademisierung.

Auch da wird einem direkt um die Ohren gehauen, dass man doch nicht meinen sollte, ein besserer Schulabschluß macht einen besseren Menschen. Das empfinde ich übrigens als Beleidigung meiner Intelligenz. In einer Gesellschaft, in der ein Mensch ohne Abitur schon als dezent defizitär gilt, jemandem das vorzuwerfen ist hart.Ich machen den Wert eines Menschen garantiert nicht an seiner Schulbildung fest, aber ich habe die Regeln in dieser Gesellschaft auch nicht gemacht.In Deutschland gilt die Faustformel, je höher der Schulabschluss desto höher das zu erwartende Einkommen.Deshalb erwarte ich, dass die Löhne im Pflegebereich nach einer Umstellung zumindest stagnieren werden.


Aber da hat man ja auch schon eine Lösung: Weiterqualifizieren.Hört sich doch gut an. Eine breite Ausbildung und dann eine spezialisierte Qualifikation, das macht was her.

Ja daraus könnte ein Schuh werden.

Dennoch befürchte ich, dass auch  hier die Realität anders aussehen wird.Ich sehe nämlich keine Verpflichtung für die Arbeitgeber, Fortbildungen und Weiterqualifizierung zu unterstützen.Im Gegenteil, wenn ich das selbe Geld verdiene, unabhängig davon ob und wie viel ich in die Qualifikation meiner Mitarbeiter investiere, und genau das ist in unserem Finanzierungssystem der Fall, dann verzichte ich doch eher.Warum sollte ich Fortbildungskosten zahlen, auf Arbeitszeit verzichten und danach möglicherweise auch noch mehr Lohn zahlen, wenn mein finanzieller Vorteil bei genau Null liegt?Da kann nur eine gesetzliche Verpflichtung helfen, aber da viele Arbeitgeber wie oben erwähnt so sehr die Generalisierung fordern, fürchte ich, dass der Plan anders aussieht.
Und das kann man auch schon an den von der Politik vorgebrachten Argumenten sehen.Einer der Vorteile der neuen Ausbildung soll sein, in jedem Bereich arbeiten zu können. Da wäre es ja hinderlich wenn man spezielle Fortbildungen für bestimmte Bereiche allgemeinverbindlich vorschreibt.
Ich befürchte es werden dann ein, zwei Kollegen eine Fachausbildung bekommen, vorzugsweise in Führungsverantwortung und der Rest bleibt der Rest. Wenn man dann davon ausgeht, dass in absehbarer Zukunft nur noch Kollegen mit Studium die Führungsverantwortung übernehmen werden, dann sehe ich etwas auf uns zukommen, was wir so ähnlich schon hatten. Ein System von Pflege und Pflegehelfern. Daraus könnte man dann ja spitzfindig konstruieren, dass die Pflege ja aufgewertet wird, nun der "qualifizierte" Teil zumindest.

Die Pflege wird sich verändern, soviel ist sicher. Die Probleme müssen gelöst werden, aber dabei einzig auf die Karte Hoffnung zu setzten ist ein erschreckend schmales Brett
.
Es hat auch schon Umfragen gegeben, in denen Kollegen gefragt wurden, ob sie den Beruf nochmals ergreifen würden, wenn es eine generalistische Ausbildung gäbe. 30% sagen nein. Ob das repräsentativ ist, weiß ich nicht. Noch viel weniger weiß ich, ob mehr junge Menschen wegen einer generalistischen Ausbildung den Beruf ergreifen.Ich denke, was Menschen in den Beruf ziehen könnte, sind fairer Lohn, familien- und sozialebenstaugliche Arbeitszeiten, Aufstiegsmöglichkeiten und Anerkennung in der Gesellschaft. Aber ich sehe nicht, dass von der Änderung des Pflegeberufegesetzes auch nur der kleinste Impuls in diese Richtung ausgehen wird.

Ganz besonders bei der Anerkennung sehe ich leider schwarz. Die Aussage, man braucht nur noch eine Pflegeausbildung, hört sich für mich schwer nach "pflegen kann jeder" an.Es befördert eher den Gedanken, dass Fachwissen von sekundärer Bedeutung ist.Es gehört eben Herz und Menschlichkeit dazu, dann noch ein bisschen Ausscheidungsmanagment und Waschlappenakrobatik und fertig ist die universell einsetzbare Pflegekraft.

Polemisch? Ich denke nicht! 

Was würde man in anderen Berufen sagen wenn jemand sagt, eure Ausbildung wird abgeschafft und mit anderen zusammen gelegt für das was ihr tut braucht ihr euer Spezialwissen nicht!Wie wäre die Reaktion, würde man vorschlagen Lehrer und Erzieher in einer generalistische Ausbildung mit niedrigen Zugangsvorraussetzungen zusammen zu fassen. Schließlich betreuen die ja alle irgendwie Kinder und für Mathematik in der Oberstufe, kann man sich ja notfalls weiter qualifizieren? Und dieser Vorschlag würde dann als Lösung für den Lehrermangel präsentiert.

Der Aufschrei wäre gewaltig.Und das mit Recht. 

Natürlich passiert so etwas nicht. Erst recht nicht in der Industrie. Wie auch, es gibt ja Handwerks- und Industrie und Handelskammern, die nach ihrem Bedarf die Ausbildungsordnungen anpassen. Schließlich weiß man ja, was der Kunde braucht.Wir brauchen das alles nicht. Wir lassen uns einfach von oben sagen was Lage ist und gut ist. Das ist alte Pflegetradition. Offenbar kommen wir nicht einmal auf die Idee, dass Kassenlage und Lohnnebenkosten die Intention für eine Pflegereform sein könnten. 
Wir als Pflegende stecken offenbar so fest in unserer Sichtweise, dass niemand merkt, dass keiner unser Bestes will.Wir glauben Ziel jeden Handelns ist eine Verbesserung.
Das ist ja auch so, aber wir kommen nicht auf die Idee, dass es nur eine Verbesserung für Andere sein könnte und man uns übergeht. Das merkt die Pflege dann erst wenn es zu spät ist und gibt sich dem eingeübten Jammern hin.

Nun will ich hier gar nicht in Abrede stellen, dass eine umfassende Reform der Pflegesituation in Deutschland von Nöten sein wird. Allerdings bin ich der festen Meinung, dass wenn weiterhin die Basis der Pflegenden bei solchen Prozessen ausgeschlossen ist, keine Verbesserung für Irgendwen erreicht wird, nicht für die zu Pflegenden und auch nicht für die Pflege.

Das Pflegepersonal wir erst nach der Reform einfach abstimmen, wie immer mit den Füßen.Das ist so, und das bleibt so. 
Der Personalmangel ist genau so entstanden.
Darüber sollten sich alle Beteiligten in diesem Spiel klar sein.


Euer
Garcon de Piss



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