Hallo Ihr Lieben,
jetzt habe ich des öfteren ja nun
schon auf Twitter über meine Ausbildung geschimpft. Nach einigen
Überlegungen, habe ich nun doch den Schluss gefasst, mal ausführlich
zu berichten. 3 Jahre lang Scheiße am laufenden Band möchte ich
Euch aber nun auch nicht antun, weshalb ich mich für ein Drama in 3
Akten entschieden haben. Hier folgt nun gleich der 1. Akt. 1.
Station, 1. Einsatz im Krankenhaus. Ich hoffe, ich kann annähernd
rüber bringen, wie ich mich damals gefühlt habe und warum. Ich weiß
es nämlich heute noch genau. Wie so ein Albtraum, den man nie wieder
vergisst. Eigentlich ganz weit weg, aber denkst Du drüber nach, geht
der ganze Körper auf Alarmstufe. Naja, genug der Einleitung. Lest
selbst!
Wenn Ahnungslosigkeit auf Ignoranz trifft
4 Wochen Schule sind rum. Ich weiß wie
ich einen Waschlappen halten muss, kenne die nötigsten
Hygienevorschriften, habe einen Spind und passende Schülerklamotten
und weiß was ich zu lassen habe. Nämlich alles wovon ich keine
Ahnung habe. Bloß keine Patienten kaputt machen. Am besten überhaupt
nichts kaputt machen. Los geht`s in den ersten Praxisblock im
Krankenhaus. „Hallo, ich bin Julia, ich bin hier für 3 Monate die
Schülerin.“ (Nein, ich heiße nicht wirklich Julia. Aber das ist
auch völlig egal. Meinen Namen werde ich ohnehin die nächsten 3
Jahre im beruflichen Alltag nur noch äußerst selten hören.)
„Ja Moment, ich hole Stefan. Ich
glaube der soll den Bezugspfleger für Dich machen. Du bist die erste
vom Unterkurs oder?“
Dass das eins der größten Probleme
für mich werden sollten, war mir zu dem Zeitpunkt noch nicht
bewusst.
Unterkurs = kann nix = was sollen die
eigentlich hier auf der Station?
Stefan stellt sich vor. Stefan ist
nett. Wirklich nett. Stefan ist froh, dass ich die 20 bereits
überschritten habe und sogar schon Mama bin. Das ist eben die
Onkologie. Und viele junge Mädchen kommen damit nicht so richtig
klar. Sterbende. Menschen, die es wahrscheinlich nicht schaffen
werden. Das ist oft zu viel „für die ganz jungen Dinger“. Ich
erkläre Stefan, dass meine sterbende Oma der Auslöser dafür war,
diese Ausbildung anzufangen und meine kaufmännische „Karriere“
nicht weiter zu verfolgen. Ich komm schon klar. Hauptsache mir wird
alles erklärt. Ich möchte um Gottes Willen nichts falsch machen.
Stefan legt los. Wir müssen jetzt los. Station zeigen läuft „im
laufenden Betrieb“. Die Patienten müssen gewaschen, gemessen, mit
Medikamenten versorgt werden usw. Ich folge. Stefan erklärt mir, was
er tut. Direkt mal einen Katheter neu legen. Stefan erklärt wie es
geht, zeigt mir die Kurven, die Diagnosen, die Medikamente, was
wichtig ist zu beachten. Wir gehen von Patient zu Patient. Ich helfe
wo ich kann. (was natürlich jetzt nicht so besonders viel ist) Der
Tag geht rum wie nichts. Ich habe 1000 Informationen im Kopf aber das
war toll! Ich werde jetzt echt Krankenschwester. Meine Güte, was
muss ich noch alles lernen aber am Ende bin ich tatsächlich
Krankenschwester. Stimmt ja gar nicht, was die von den Kursen über
uns erzählt haben. Von wegen musst Dir alles allein beibringen.
Keiner erklärt Dir was. Waschen, waschen, waschen sonst nichts. Ich
hab Stefan, alles wird gut.
Dieser Enthusiasmus hielt genau 2
Frühdienste an.
Am 3. Tag musste ich nämlich zur
Stationsleitung. Die war völlig außer sich. Was mir einfallen
würde, meine Arbeit nicht zu machen. Schlimm genug, dass die Schule
jetzt auf die völlig bekloppte Idee käme, Unterkursschüler auf die
Onkologie zu schicken. Die hätten da eh nichts zu suchen. Aber ich
wäre auch noch faul und würde nicht mal meine Arbeit machen. Das
müsste dann alles die arme Jahrespraktikantin allein erledigen. Und
was ich mir überhaupt dabei denken würde wie Krankenhaus so läuft.
Ja, um es wie auf Twitter zu
formulieren: So habe ich auch geguckt.
Was habe ich falsch gemacht? Was sind
denn „meine Aufgaben“? Und überhaupt. Wie läuft denn so ein
Krankenhaus? Woher sollte ich es wissen? Ich habe kein Praktikum im
Krankenhaus gemacht. Keine Mutter, die schon seit Jahren im Haus
arbeitet. Keine Erfahrungen. Null! Ich habe nicht mal als Patientin
jemals im Krankenhaus gelegen. (unser Sohn wurde, wie alle unsere
Kinder, in einer Geburtsklinik geboren) Ich habe nur ein paar Tage
meine Oma zu Hause „gepflegt“ und anschließend im Hospiz ihr
Sterben begleitet. Dankbar, dass professionelles Pflegepersonal dort
war, die meiner Oma und auch uns Angehörigen ganz toll zur Seite
gestanden haben, weshalb ich auch Krankenschwester werden wollte.
Was will diese Frau von mir? Die
Antwort ist ganz einfach. Zumindest, wenn man es mir vorher gesagt
hätte.
- Zusammen mit der Jahrespraktikantin alle „einfachen“ Patienten waschen
- Wäschewagen auffüllen
- Müll und Schmutzwäsche wegbringen
- Zu allen Klingeln gehen, Hilfe holen, wenn nötig, sonst selbst abarbeiten
- 1 Seite Frühstück verteilen (andere macht die Jahrespraktikantin)
- Frühstück wieder einsammeln
- Zuckerrunde (meine Kollegen werden wissen, was das sein soll)
- Im Früh- wie im Spätdienst 15 Minuten eher kommen und Kaffee für die Übergabe kochen
- In der Pause der Examinierten die Patienten ruhig stellen
- rennen, rennen, rennen (sonst sieht das so faul aus und gibt ne schlechte Benotung)
Natürlich habe ich, nachdem ich
mitbekommen habe, was so von mir erwartet wird, all diese Aufgaben
auch erledigt. Jeden Tag. Manchmal auch 14 Tage am Stück. 3 Jahre
lang. Aber es war zu spät. Rückblickend muss ich leider sagen, dass
ab diesem Tag offensichtlich im ganzen Haus das Gerücht „Die hat
es nicht nötig Schüleraufgaben zu machen. Die hält sich wohl für
was besseres:“ bereits vor mir da war.
Aber das war natürlich nicht alles. Da
war ja noch der Stefan. Mein Bezugspfleger. Also irgendwie auch
Schuld an der Misere, dass die olle Schülerin nicht rund läuft.
Offensichtlich haben „die“ das dem Stefan dann auch gesagt. Denn
ab diesem, meinem 3. praktischen Ausbildungstag, war der Stefan auch
nicht mehr so der Alte. Anweisungen, was ich gefälligst zu erledigen
habe, das ging noch. Sonst nichts mehr. Für Erklärungen leider
keine Zeit. Mit mir zusammen arbeiten? Leider keine Zeit. Die
Wäschewagen müssen noch und so.
Selbst darauf hätte ich mich
einstellen können. Stefan war anzumerken, dass er unter Druck
gesetzt wurde. Und auch wenn nicht mehr viel an sinnvollen
Informationen, meine Ausbildung betreffend, von ihm bei mir ankamen,
so hat er dennoch versucht, mir immerhin zu zeigen, wie ich die
„Schülernummer“ bestmöglich erfüllen kann. Na immerhin. Stefan
ist EIGENTLICH ein Netter. Er darf nur nicht so, wie er möchte.
Dachte ich. Dann allerdings kam die
Sache mit der isolierten Patientin. (Für die Nicht-Pflegekräfte
unter den Lesern: Verboten für Schüler! Isolierte Patienten sind
verboten! Und allein schon mal gar nicht und als Unterkursschülerin
im 1. Einsatz sowieso ÜBERHAUPT GAR NICHT!!!)
Ich kann nicht einmal mehr sagen, was
die Patientin konkret hatte. Krebs halt. Eine sterbende Frau,
vollgepumpt mit unzähligen Medikamenten, die gleichzeitig über ein
Wirrwarr von Infusionen in den kaum noch vorhandenen Körper laufen.
Dünn war sie, viel zu dünn. Und wie gesagt, isoliert. Das bedeutet
also, dass wir nur in Schutzkleidung das Zimmer betreten dürfen. Mit
Haube, Mundschutz, Kittel, Handschuhen und allem was dazu gehört.
Das ist natürlich lästig. Erst recht bei den sommerlichen
Temperaturen. Anziehen, schwitzen, ausziehen, dann sieht man schon
mal den Rest des Tages echt scheiße aus. Außerdem ist die Patientin
zeitweise völlig verwirrt und wird dann aggressiv. Schlägt und
beißt, wirft alles, was ihr zwischen die Finger kommt, weil wir sie
ja vergiften wollen. Das ist noch lästiger. Und deshalb kann es für
das examinierte Pflegepersonal nur eine Lösung geben: Die Schülerin
muss da rein.
Ich bekam also eine kurze Erklärung,
was ich anzuziehen habe und dass ich ja die Finger von allen
Infusionen und Pumpen zu lassen habe und dann rein da. Waschen.
Allein.
An meine Kollegen hier mal: Kann sich
einer von Euch vorstellen jemanden zu waschen und umzuziehen (normale
Kleidung) ohne eine einzige Infusion abzustöpseln? Ich jedenfalls
sollte das genau so tun und dann schnell nach einem Kollegen
klingeln, der kurz „entkabelt“, Klamotten drüber, wieder
anschließt, mir das Frühstück inklusive Medikamente in die Hand
drückt und mit den Worten „Guck, was du rein kriegst!“ wieder
abhaut.
So stellt man sich liebevolle Pflege
vor oder? Die Patienten halb nackt im Bett liegen lassen, bis sich
jemand examiniertes findet, der mal kurz „um stöpselt“ und
tschüss. Danach Essen „in die Patientin reinkriegen“, weil die
ja eh wieder Theater macht von wegen Vergiften und so. Wo bin ich
hier bloß gelandet? Was stimmt mit denen nicht? So kann man doch
nicht mit Menschen umgehen.
Ich hätte am liebsten geheult. Aber
beim Anblick der Patientin kam ich mir lächerlich vor. Die Frau
liegt im Sterben, ist verwirrt, hat Angst und wird vom Pflegepersonal
konsequent ignoriert. Und die einzige Person, die ihr hilft, bin ich.
Die blöde Unterkursschülerin, die völlig überfordert ist und
eigentlich keine Ahnung hat, was sie da tut. Die Frau hat ein viel
größeres Problem als ich, dachte ich. Also tat ich einfach mein
Bestes.
Von dem Tag an, durfte ich jedenfalls
täglich zu dieser Patientin. Auch dann noch wenn die Nachtschwester
berichtete, dass sie angegriffen und gebissen wurde, interessierte
das keinen. Geht ja eh die Schülerin rein, was soll`s? Überhaupt
interessierte sich niemand für die Patientin und für mich schon mal
gar nicht. Ich funktionierte ja nun endlich, erledigte brav alle
„Schüleraufgaben“ und das war es dann auch. Genau genommen
brauchte man nicht einmal mehr mit mir zu reden. Es sei denn
irgendetwas dauerte zu lange. Das wurde natürlich sofort
kommuniziert. Aber was erklären? Fehlanzeige. Meine Fragen
beantworten? Um Gottes Willen, keine Zeit. Nicht einmal, wenn ich von
der Patientin berichten wollte, hat mir jemand zugehört. Die
zuständigen Schwester schrieb jeden Tag ausführlich ihre
Dokumentation über eine Patientin, die sie nicht einmal gesehen
hatte und hakte Pflegeleistungen mit ihrem Namen ab ohne überhaupt
zu wissen, ob ich das auch getan hatte. Langsam begriff ich „wie
Krankenhaus so läuft“.
Jetzt fragt ihr Euch bestimmt, wo ist
denn der Stefan hin? Der Nette. Das fragte ich mich damals auch. Aber
keine Sorge, Stefan bekommt noch seinen Auftritt. Einen ganz großen
Auftritt sogar. Aber dazu komme ich dann im 2. Akt.
Eure @emergencymum
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