Hallo Ihr Lieben,
eigentlich wollte ich Euch jetzt schon
den 3. Teil meiner wunderschönen Reihe über den liebevollen Umgang
meines Ex-Arbeitgebers und seinen Untertanen mit dem
Verbrauchsmaterial Krankenpflegeschüler präsentieren. Nach den
ersten beiden Teilen jedoch bin ich ständig gefragt worden „Warum
hast Du da bloß weiter gemacht?“ Eine durchaus berechtigte Frage.
So berechtigt, dass ich mir zunächst selbst einmal dazu ein paar
Gedanken machen musste um eine ehrliche Antwort darauf geben zu
können. Drei Gründe haben sich dabei heraus kristallisiert. Nämlich:
a) Mit dem Rücken zur Wand stehen
b) Trotz und
c) Der Rückhalt in
der Familie besonders der meines Mannes.
Um das zu erklären muss ich
ein bisschen ausholen. Es ist aber auch irgendwie wichtig, das zu
verstehen, bevor ihr den 3. Teil lest. Deshalb habe ich mich dazu
entschlossen, erst mal diesen Zwischenbericht zu schreiben bevor ich
euch mit dem letzten Teil nochmal die Hände über dem Kopf
zusammenschlagen lasse. Aber lest einfach selbst!
Ein Zwischenbericht
Völlig überfordert und schlecht
behandelt werden. Seelisch gequält und verleumdet. Dabei zusehen
müssen, wie hilflose Menschen im Stich gelassen werden ohne die
geringste Chance daran irgendetwas ändern zu können. Aber am
nächsten Tag wieder zur Arbeit kommen um sich innerhalb von nur 8
Stunden an die körperlichen und seelischen Grenzen schuften zu
dürfen. Warum tut man so etwas? Beziehungsweise warum habe ich das
getan? Der Versuch einer Erklärung.
Mit dem Rücken zur Wand
Nun, beruflich war ich bis zu Beginn
meiner Ausbildung, na formulieren wir es nett, ein wenig sprunghaft.
Hier was angefangen, da quer eingestiegen, noch ein bisschen Schule
nebenher, ups schwanger. Ihr kennt das. ;) Mit dem Ergebnis: Viel
Erfahrung in vielen verschiedenen Dingen aber keinen adäquaten
Abschluss. Mich beruflich auszuprobieren in jungen Jahren war sicher
gar nicht so verkehrt. Wenn dann allerdings plötzlich so ein kleiner
Minimensch Mama zu Dir sagt, wird irgendwie alles anders. Die
Leichtigkeit ist dahin und ich spürte das dringende Bedürfnis nun
jetzt doch endlich irgendetwas auch mal zu Ende zu bringen. So mit
Zettel in der Hand worauf bescheinigt ist „Die kann das wirklich!“
Und ich hatte mich, nach den Erfahrungen mit meiner sterbenden Oma,
nun mal für diesen Beruf entschieden. Ich wollte beruflich helfen,
Menschen professionell auf ihrem Weg begleiten ob in die Gesundheit
oder in den Tod. Aber nicht „so ein bisschen nebenbei“, sondern
richtig, mit Fachkompetenz und Anerkennung eben. Und dazu benötige
ich nun mal dieses verdammte Examen.
Trotz
Die Stationsleitung der Onkologie war
sich dank meiner Probezeit sicher, mit Stefans Auftritt das „Problem
Julia“ ein für allemal entsorgt zu haben. Das war deutlich an
ihrem entgleisendem Gesichtsausdruck zu erkennen, als ich am nächsten
Tag pünktlich um 5.45 Uhr zum Kaffee kochen erschien. Jetzt musste
Sie doch noch eine Schippe drauf legen und tatsächlich Meldung in
der Schule machen, dass diese Schülerin ja keinesfalls tragbar sei.
Was sie nicht wusste, ich war bereits dort. Unmittelbar nach meinem
Abgang auf Station, bin ich nämlich zur Schule marschiert. 3 Mal
tief Durchatmen, Tränen aus dem Gesicht wischen und um ein Gespräch
mit meiner Klassenlehrerin bitten. Sie zweifelte keine Sekunde an
meiner Aussage und ihr war sofort klar, dass niemand seitens des
Krankenhauses jemals offiziell diese Geschichte an die Schule
weiterleiten würde. Isoliertes Zimmer? Patientin, die Chemotherapie
bekommt? Erstsemester Schülerin allein dort drin? So etwas einer
Krankenpflegeschule telefonisch oder gar schriftlich mitzuteilen
gleicht einer Selbstanzeige. Weshalb das Telefonat der Stationleitung
am nächsten Tag auch irgendwie anders verlief als sie es wohl
geplant hatte. Wie sich beim darauffolgendem Gespräch mit meiner
Klassenlehrerin und der Direktorin der Schule herausstellte lief das
Telefonat wohl in etwa so:
„Guten Tag, hier spricht die
Stationsleitung der Onkologie. Es geht um ihre Unterkursschülerin
hier bei uns. Also die wirkt total unmotiviert (das ist übrigens der
Klassiker an Formulierung mit der Schüler, die nichts falsch gemacht
haben, kritisiert werden) und im Umgang mit den Patienten ist sie
eigentlich nicht tragbar.“
„Sie sprechen also über Julia, nach
den ersten Klausuren eine der besten ihres Kurses. Im Umgang mit
welchen Patienten ist sie denn untragbar? Vielleicht mit isolierten
MRSA Patienten, die Chemotherapie erhalten und damit eine massive
Gefahr für meine Schüler darstellen sofern sie den Umgang damit
noch nicht lernen konnten, was bei einer Erstsemester Schülerin im
Anfangsblock wohl eindeutig der Fall sein dürfte?“
„Ähm nein, wie kommen sie denn auf
so etwas?“
„Hören Sie, es ist mir bereits
mehrfach zu Ohren gekommen, dass sie offensichtlich ein Problem damit
haben, seit kurzem auch Anfangsschüler von uns zugeteilt zu
bekommen. Sollten sie sich also nicht in der Lage sehen, diese in den
Stationsalltag zu integrieren und während des Einsatzes auf ihrer
Station angemessen praktisch auszubilden, leite ich das natürlich
umgehend so weiter. Sie werden dann ab sofort aus der Planung
ausgeschlossen. Das gilt dann allerdings für ALLE unserer
Schülerinnen und Schüler.“
„Nein, natürlich ist das überhaupt
kein Problem. Danke für das Gespräch.“
(An dieser Stelle möchte ich kurz
erwähnen, das es unter keinen Umständen möglich gewesen wäre auch
nur eine einzige Station in diesem Haus ohne Schüler aufrecht zu
erhalten. Zum Teil waren mehr Schüler als examinierte im Dienst, an
Wochenenden und Feiertagen sowieso. Ohne Schüler kein Waschen, kein
Frühstück, kein Kaffee, niemand der aufräumt, Klingeln abarbeiten
usw. Absolut undenkbar ohne das festangestellte examinierte Personal
nicht mindestens zu verdoppeln.)
Meine Klassenlehrerin bot mir an,
persönlich mit zur Station zu gehen um die Angelegenheit zu
„klären“. Gleichzeitig erklärte sie mir aber, dass wenn sie nun
„dieses Fass auf macht“ ich das mit Sicherheit bis zum Ende
meines Einsatzes wenn nicht sogar bis zum Ende meiner Ausbildung
werde zu spüren bekommen. Wörtlich sagte sie.“Die werden
versuchen dich auflaufen zu lassen wo es nur geht. Das wird ein
einziger Spießrutenlauf.“
Sie hätte nur Einfluss auf meinen
schulischen Weg, zu den Praxiseinsätzen könne sie mich schlecht
täglich begleiten. Hätte ich damals gewusst, dass dies ohnehin
exakt genau so passieren wird, hätte ich ganz sicher jedes verdammte
Fass aufgemacht, was es aufzumachen gab. Tja nun, damals ließ ich
es. Aber es war mir immerhin eine große Genugtuung, jeden Tag wieder
in das dumme Gesicht der Stationsleitung zu blicken, wenn ich sie
freudestrahlend (ja, wenn ich will bin ich eine super Schauspielerin)
begrüßte. Schülerin 1 Stationsleitung 0.
Und eines schönen Tages wird die Julia
dann mit ihrem Examen in der Tasche hier raus marschieren, Dir den
Mittelfinger zeigen und du dämlich Plinse kannst überhaupt rein gar
nichts dagegen tun! Ha!
Rückhalt in der Familie
Wie Ihr ja wisst, ist mein Mann
ebenfalls Krankenpfleger. Und ich denke, das war meine Rettung.
Keinem normalen Menschen (und mit normal meine ich alle, die nicht in
der Pflege arbeiten) hätte ich erklären können, was ich durchmache
und warum. Er wusste es. Er kannte die Ausbildung, die Bedingungen,
den Schock, wenn man bemerkt, dass die wenigsten in der Pflege noch
annähernd sauber ticken, sondern entweder auf dem besten Weg sind,
selbst kaputt zu gehen oder schon dabei sind andere für sich über
die Klippe springen zu lassen.
Dann noch meine Schwiegereltern, die
sich im 3 Schichtbetrieb um unseren Sohn gekümmert haben und das
Unmögliche möglich gemacht haben, was die Kinderbetreuung angeht.
Der Kleine wurde sogar mit in den Kurzurlaub genommen damit ich mich
auf Prüfungen vorbereiten konnte ohne ein schlechtes Gewissen zu
haben oder auch damit mein Mann und ich einfach zwischendurch mal
durchatmen konnten. Alle haben irgendwie Opfer gebracht, damit ich
das durchziehen kann. Das mag jetzt zu Beginn der Ausbildung noch
nicht so ausschlaggebend gewesen zu sein, je länger es dauerte um so
wichtiger hingegen wurde es. Einfach alles hinschmeißen war
irgendwann einfach keine Option mehr.
Ich hoffe, dass Ihr mich nun etwas
besser versteht und ja, in Kürze mache ich mich dann auch dran und
schreibe Euch endlich den 3. und letzten Teil. Danach habt ihr dann
erst mal wieder Ruhe vor meinen Horrorgeschichten. ;)
Eure @emergencymum
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