Montag, 15. Juni 2015

Ein Zwischenbericht

Hallo Ihr Lieben,

eigentlich wollte ich Euch jetzt schon den 3. Teil meiner wunderschönen Reihe über den liebevollen Umgang meines Ex-Arbeitgebers und seinen Untertanen mit dem Verbrauchsmaterial Krankenpflegeschüler präsentieren. Nach den ersten beiden Teilen jedoch bin ich ständig gefragt worden „Warum hast Du da bloß weiter gemacht?“ Eine durchaus berechtigte Frage. So berechtigt, dass ich mir zunächst selbst einmal dazu ein paar Gedanken machen musste um eine ehrliche Antwort darauf geben zu können. Drei Gründe haben sich dabei heraus kristallisiert. Nämlich:
 a) Mit dem Rücken zur Wand stehen
 b) Trotz und 
 c) Der Rückhalt in der Familie besonders der meines Mannes. 
Um das zu erklären muss ich ein bisschen ausholen. Es ist aber auch irgendwie wichtig, das zu verstehen, bevor ihr den 3. Teil lest. Deshalb habe ich mich dazu entschlossen, erst mal diesen Zwischenbericht zu schreiben bevor ich euch mit dem letzten Teil nochmal die Hände über dem Kopf zusammenschlagen lasse. Aber lest einfach selbst!


Ein Zwischenbericht



Völlig überfordert und schlecht behandelt werden. Seelisch gequält und verleumdet. Dabei zusehen müssen, wie hilflose Menschen im Stich gelassen werden ohne die geringste Chance daran irgendetwas ändern zu können. Aber am nächsten Tag wieder zur Arbeit kommen um sich innerhalb von nur 8 Stunden an die körperlichen und seelischen Grenzen schuften zu dürfen. Warum tut man so etwas? Beziehungsweise warum habe ich das getan? Der Versuch einer Erklärung.

Mit dem Rücken zur Wand

Nun, beruflich war ich bis zu Beginn meiner Ausbildung, na formulieren wir es nett, ein wenig sprunghaft. Hier was angefangen, da quer eingestiegen, noch ein bisschen Schule nebenher, ups schwanger. Ihr kennt das. ;) Mit dem Ergebnis: Viel Erfahrung in vielen verschiedenen Dingen aber keinen adäquaten Abschluss. Mich beruflich auszuprobieren in jungen Jahren war sicher gar nicht so verkehrt. Wenn dann allerdings plötzlich so ein kleiner Minimensch Mama zu Dir sagt, wird irgendwie alles anders. Die Leichtigkeit ist dahin und ich spürte das dringende Bedürfnis nun jetzt doch endlich irgendetwas auch mal zu Ende zu bringen. So mit Zettel in der Hand worauf bescheinigt ist „Die kann das wirklich!“ Und ich hatte mich, nach den Erfahrungen mit meiner sterbenden Oma, nun mal für diesen Beruf entschieden. Ich wollte beruflich helfen, Menschen professionell auf ihrem Weg begleiten ob in die Gesundheit oder in den Tod. Aber nicht „so ein bisschen nebenbei“, sondern richtig, mit Fachkompetenz und Anerkennung eben. Und dazu benötige ich nun mal dieses verdammte Examen.

Trotz

Die Stationsleitung der Onkologie war sich dank meiner Probezeit sicher, mit Stefans Auftritt das „Problem Julia“ ein für allemal entsorgt zu haben. Das war deutlich an ihrem entgleisendem Gesichtsausdruck zu erkennen, als ich am nächsten Tag pünktlich um 5.45 Uhr zum Kaffee kochen erschien. Jetzt musste Sie doch noch eine Schippe drauf legen und tatsächlich Meldung in der Schule machen, dass diese Schülerin ja keinesfalls tragbar sei. Was sie nicht wusste, ich war bereits dort. Unmittelbar nach meinem Abgang auf Station, bin ich nämlich zur Schule marschiert. 3 Mal tief Durchatmen, Tränen aus dem Gesicht wischen und um ein Gespräch mit meiner Klassenlehrerin bitten. Sie zweifelte keine Sekunde an meiner Aussage und ihr war sofort klar, dass niemand seitens des Krankenhauses jemals offiziell diese Geschichte an die Schule weiterleiten würde. Isoliertes Zimmer? Patientin, die Chemotherapie bekommt? Erstsemester Schülerin allein dort drin? So etwas einer Krankenpflegeschule telefonisch oder gar schriftlich mitzuteilen gleicht einer Selbstanzeige. Weshalb das Telefonat der Stationleitung am nächsten Tag auch irgendwie anders verlief als sie es wohl geplant hatte. Wie sich beim darauffolgendem Gespräch mit meiner Klassenlehrerin und der Direktorin der Schule herausstellte lief das Telefonat wohl in etwa so:

„Guten Tag, hier spricht die Stationsleitung der Onkologie. Es geht um ihre Unterkursschülerin hier bei uns. Also die wirkt total unmotiviert (das ist übrigens der Klassiker an Formulierung mit der Schüler, die nichts falsch gemacht haben, kritisiert werden) und im Umgang mit den Patienten ist sie eigentlich nicht tragbar.“

„Sie sprechen also über Julia, nach den ersten Klausuren eine der besten ihres Kurses. Im Umgang mit welchen Patienten ist sie denn untragbar? Vielleicht mit isolierten MRSA Patienten, die Chemotherapie erhalten und damit eine massive Gefahr für meine Schüler darstellen sofern sie den Umgang damit noch nicht lernen konnten, was bei einer Erstsemester Schülerin im Anfangsblock wohl eindeutig der Fall sein dürfte?“

„Ähm nein, wie kommen sie denn auf so etwas?“

„Hören Sie, es ist mir bereits mehrfach zu Ohren gekommen, dass sie offensichtlich ein Problem damit haben, seit kurzem auch Anfangsschüler von uns zugeteilt zu bekommen. Sollten sie sich also nicht in der Lage sehen, diese in den Stationsalltag zu integrieren und während des Einsatzes auf ihrer Station angemessen praktisch auszubilden, leite ich das natürlich umgehend so weiter. Sie werden dann ab sofort aus der Planung ausgeschlossen. Das gilt dann allerdings für ALLE unserer Schülerinnen und Schüler.“

„Nein, natürlich ist das überhaupt kein Problem. Danke für das Gespräch.“

(An dieser Stelle möchte ich kurz erwähnen, das es unter keinen Umständen möglich gewesen wäre auch nur eine einzige Station in diesem Haus ohne Schüler aufrecht zu erhalten. Zum Teil waren mehr Schüler als examinierte im Dienst, an Wochenenden und Feiertagen sowieso. Ohne Schüler kein Waschen, kein Frühstück, kein Kaffee, niemand der aufräumt, Klingeln abarbeiten usw. Absolut undenkbar ohne das festangestellte examinierte Personal nicht mindestens zu verdoppeln.)


Meine Klassenlehrerin bot mir an, persönlich mit zur Station zu gehen um die Angelegenheit zu „klären“. Gleichzeitig erklärte sie mir aber, dass wenn sie nun „dieses Fass auf macht“ ich das mit Sicherheit bis zum Ende meines Einsatzes wenn nicht sogar bis zum Ende meiner Ausbildung werde zu spüren bekommen. Wörtlich sagte sie.“Die werden versuchen dich auflaufen zu lassen wo es nur geht. Das wird ein einziger Spießrutenlauf.“
Sie hätte nur Einfluss auf meinen schulischen Weg, zu den Praxiseinsätzen könne sie mich schlecht täglich begleiten. Hätte ich damals gewusst, dass dies ohnehin exakt genau so passieren wird, hätte ich ganz sicher jedes verdammte Fass aufgemacht, was es aufzumachen gab. Tja nun, damals ließ ich es. Aber es war mir immerhin eine große Genugtuung, jeden Tag wieder in das dumme Gesicht der Stationsleitung zu blicken, wenn ich sie freudestrahlend (ja, wenn ich will bin ich eine super Schauspielerin) begrüßte. Schülerin 1 Stationsleitung 0.
Und eines schönen Tages wird die Julia dann mit ihrem Examen in der Tasche hier raus marschieren, Dir den Mittelfinger zeigen und du dämlich Plinse kannst überhaupt rein gar nichts dagegen tun! Ha!



Rückhalt in der Familie

Wie Ihr ja wisst, ist mein Mann ebenfalls Krankenpfleger. Und ich denke, das war meine Rettung. Keinem normalen Menschen (und mit normal meine ich alle, die nicht in der Pflege arbeiten) hätte ich erklären können, was ich durchmache und warum. Er wusste es. Er kannte die Ausbildung, die Bedingungen, den Schock, wenn man bemerkt, dass die wenigsten in der Pflege noch annähernd sauber ticken, sondern entweder auf dem besten Weg sind, selbst kaputt zu gehen oder schon dabei sind andere für sich über die Klippe springen zu lassen.
Dann noch meine Schwiegereltern, die sich im 3 Schichtbetrieb um unseren Sohn gekümmert haben und das Unmögliche möglich gemacht haben, was die Kinderbetreuung angeht. Der Kleine wurde sogar mit in den Kurzurlaub genommen damit ich mich auf Prüfungen vorbereiten konnte ohne ein schlechtes Gewissen zu haben oder auch damit mein Mann und ich einfach zwischendurch mal durchatmen konnten. Alle haben irgendwie Opfer gebracht, damit ich das durchziehen kann. Das mag jetzt zu Beginn der Ausbildung noch nicht so ausschlaggebend gewesen zu sein, je länger es dauerte um so wichtiger hingegen wurde es. Einfach alles hinschmeißen war irgendwann einfach keine Option mehr.

Ich hoffe, dass Ihr mich nun etwas besser versteht und ja, in Kürze mache ich mich dann auch dran und schreibe Euch endlich den 3. und letzten Teil. Danach habt ihr dann erst mal wieder Ruhe vor meinen Horrorgeschichten. ;)

Eure @emergencymum


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