Samstag, 13. Juni 2015

Der zweite Akt: "Von Kühen und Schweinen"

Hallo Ihr Lieben,

da bin ich wieder. Ihr wollt ja nun sicher wissen, wie es mit meinem Kumpel Stefan so weiter ging. Der 2. Teil meiner Reihe „Warum ich auf Twitter so dermaßen ausraste, wenn es um mein Lehr- *räusper* Krankenhaus geht“ wird Eure Neugier sicher befriedigen. Allerdings möchte ich auch nicht unerwähnt lassen, dass dies keine Schilderung eines traurigen Einzelfalles ist. Ihr werdet wohl nicht sonderlich überrascht sein, dass ich nicht die einzige war, die so ihre Schwierigkeiten damit hatte, zu verstehen „wie Krankenhaus denn so läuft“. Meine Geschichte steht hier stellvertretend für viele Geschichten dieser Art. Die Dreistigkeit mit der systematisch gemobbt, gelogen, betrogen und verleumdet wurde wenn das Opfer im vermeidlichen Abhängigkeitsverhältnis steht, könnte durchaus für Erstaunen sorgen, aber lest einfach selbst!

Der 2. Akt:


„Von Kühen und Schweinen!“


Die Patientin in ihrem isolierten Zimmer, verwirrt, abgemagert, halb tot, Ihr erinnert Euch? Die Patientin, für die sich niemand interessiert hat, weil es einfach umständlich und lästig ist, sich an- und auszuziehen, bloß um nach einer todkranken Frau zu sehen. Die Patientin, bei der offensichtlich völlig scheiß egal war ob jemand, der lediglich 4 Woche Schule hatte, sie durch Unwissenheit verletzt oder womöglich umbringt. Genau die Patientin, ich nenne sie einfach mal Frau Seiler, kam plötzlich zu einer Aufmerksamkeit von ungeahntem Ausmaß. Die einzige Rettung für Menschen wie sie, die im Krankenhausalltag einfach nur stören und keiner sehen will, sind Angehörige, die das
a) überhaupt bemerken und 
b) deshalb ein riesen Theater machen. 
Oder engagiertes Pflegepersonal mit Durchsetzungskraft. Oder noch besser, Pflegepersonal als Angehörige, da liegt die Klage bereits drohend in der Luft und deshalb geben die Kollegen immer besonders Gas und sichern sich dreifach ab, eh da noch was schief geht. Aber das ist ein anderes Thema. 
Unsere Patientin jedenfalls hatte Besuch. Dieser hatte natürlich überhaupt keine Ahnung, was die Zustände angeht, in der ihre Mutter (und das muss ich leider genau so formulieren) dahin vegetierte. Aber das war völlig egal, denn es reicht schon, wenn Angehörige aus Prinzip gern alles bemängeln, wenn sie es einmal im Quartal zu ihrer todkranken Mutter ins Krankenhaus schaffen. Allerdings gab es diesmal sogar einen konkreten Anlass. Mama hatte behauptet von einer Schwester beschimpft und bedroht worden zu sein und zwar mit folgendem Wortlaut: 
Jetzt halt endlich die Fresse, sonst lasse ich Dich hier verrecken!“ 
Nun gut, die Patientin steht unter Medikamenten, ist zwischenzeitlich völlig desorientiert und schlägt nach dem Pflegepersonal weil sie meint, vergiftet zu werden. Man könnte den Wahrheitsgehalt dieser Aussage somit durchaus anzweifeln. Dennoch glaubte ich der Frau aufs Wort.
Aber jetzt mal der Reihe nach.
An besagten Tag komme ich zum Frühdienst. 15 Minuten zu früh, wie es von mir erwartet wird, und koche Kaffee. Nachtdienst hatte „der Bauer“. Der Bauer ist weiblich, geht auf die 50 zu und ist Dauernachtwache auf der Station und somit ausschließlich nachts und allein im Dienst. Bauer wird sie liebevoll von sämtlichen Kollegen in ihrer Abwesenheit genannt aufgrund ihrer „außergewöhnlichen“ Übergaben. Sie hat nämlich offensichtlich nie Patienten über Nacht betreut sondern Tiere. Sätze wie „Und dann hat das Schwein auch noch nach mir geschlagen.“ oder „Die arrogante Kuh meint wohl, ich hätte nichts anderes zu tun, als ihr das scheiß Wasser zu bringen.“ oder „Die Sau hat wieder an der Urinflasche vorbei gepisst.“ sind bei Schwester Bauer keine Seltenheit. Um es kurz zu fassen. Schwester Bauer hasst Patienten und gibt sich auch keinerlei Mühe ihre Verachtung zu verbergen.
Der Dienst beginnt also wie immer mit einer Übergabe, in der uns detailliert zwischen Kaffee 1 und Kaffee 3 berichtet wird, wie scheiße die Patienten doch zu ihr waren. Allen voran die verhasste Alte aus der 14 alias Frau Seiler. „Die klingelt andauernd, und wenn ich dann das Licht einfach ausmache, damit die endlich Ruhe gibt, fängt die auch noch an zu schreien. Ich zieh mich doch nicht 100 Mal die Nacht an und aus, bloß damit die Irre ihre Zähne nach mir schmeißt. Irgendwann reicht es auch mal. Sowas lasse ich mir nicht bieten!“

(Um meinen Berufsstand hier nicht völlig in den Dreck zu ziehen, möchte ich an dieser Stelle erwähnen, dass ich so ein Verhalten nie wieder im Klinikalltag erlebt habe. Sicherlich kommt nicht jeder Patient gut dabei weg, wenn im Dienstzimmer hinter geschlossenen Türen über ihn gesprochen wird und es gibt Kollegen, die mal mehr und mal weniger auf ihre Sprache achten. Aber jemandem wie Schwester Bauer bin ich seitdem nie wieder begegnet.)

Der Tag beginnt also wie immer, bis kurz vor Mittag. Menschenansammlung auf dem Flur. Stationsleitung, Kolleginnen, Ärzte, die Kinder der „Irren aus der 14“ diskutieren lauthals. Ich habe natürlich viel zu viel zu tun, um zu diesem Zeitpunkt bereits mitzubekommen, was da nun genau los ist. Kurze Zeit später stampft Mr Wichtig Himself alias Pflegedienstleitung dann über den Flur richtung Dienstzimmer.
Oh Gott, jetzt wird es ernst. Also entweder wird jemand für 25 Dienstjahre ausgezeichnet oder irgendwas ist gewaltig schief gelaufen.
Dem Gebrüll nach zu urteilen, dass ich selbst am andere Ende der Station noch hören kann, tippe ich auf letzteres. Naja, nicht mein Problem, denke ich, und erzählen worum es geht wird mir hier sowieso niemand. Also einfach weiter arbeiten, ist ja nicht mehr lang bis Feierabend.
Kurz vor Schluss dann, ihr ahnt es vielleicht, Auftritt Stefan.
Ich müsse länger bleiben, weil wir nach Dienstende noch reden müssten. 
Ignorieren wir jetzt einfach mal die Tatsache, dass ich nicht ausschließlich Schülerin sondern „neben bei“ auch noch Mutter bin, mein Kind womöglich pünktlich aus dem Kindergarten abgeholt werden müsste und es durchaus möglich gewesen wäre, dass jemand anderes den Kaffee austeilt, damit diese Gespräch innerhalb meiner Arbeitszeit hätte statt finden können und kommen wir direkt zu Stefans Vortrag:
Da steht er, im Dienstzimmer, es ist ihm offensichtlich unangenehm mit mir sprechen zu müssen, aber er tut es trotzdem. Nämlich mir den Vortrag halten, den die Sationsleitung ihm kurz zu vor diktiert hat:
Du kannst so nicht mit Patienten umgehen. Beleidigungen und Drohungen, das geht gar nicht. Wir haben den Angehörigen von Frau Seiler erklärt, dass Du eine Anfangsschülerin bist und wohl einfach überfordert warst. So etwas darf natürlich nicht wieder vorkommen und wir werden auch die Schule darüber informieren müssen. Vielleicht ist das ja doch nicht der richtige Beruf für dich...

Ich unterbreche Stefan mit den Worten „Es würde mir viel leichter fallen, Dir zu folgen, wenn du mir erst mal erklären würdest, für was genau ich denn jetzt den Kopf hin halten soll.“
Stefan erklärt sofort. Frau Seiler ist wüst beschimpft und bedroht worden. „Jetzt halt endlich die Fresse, sonst lasse ich dich hier verrecken!“ hat JEMAND gesagt. Die Angehören sind zurecht außer sich. Sie haben sich bei den Ärzten beschwert, die wiederum die Pflegedienstleitung informiert hätten usw.
Merkt Ihr was? 
Stefan erklärt mir gerade, was ICH gesagt haben soll. Weil er genau weiß, dass ich das ganz sicher niemals gesagt habe. Schlimmer noch: Jeder weiß, wer das tatsächlich gesagt haben wird. Schließlich hat der Bauer in der Übergabe ja jedermann teilhaben lassen an ihrer „Auseinandersetzung“ mit Frau Seiler. Und genau das antworte ich Stefan dann auch. „Jeder hier weiß, dass ich das nicht war. Genau wie jeder hier weiß, wer es war. Was Du hier machst ist völlig bekloppt.“ Bis zu diesem Zeitpunkt war ich erstaunlicherweise noch völlig ruhig. Aber dann kam etwas, womit ich wirklich nicht gerechnet hatte. Stefan machte einfach weiter.
Also mit dem Vortrag. Ich müsse das jetzt mit der Schule klären. Die Stationsleitung und alle anderen würden nun genauer hinsehen, wie ich mit Patienten umgehen und meine Benotung kann natürlich jetzt auch nicht mehr gut ausfallen. Bla bla bla...

Kennt ihr das, wenn man so dermaßen wütend wird, dass man anfängt zu heulen und dann noch wütender wird, weil man merkt, dass man zu heulen anfängt? So ging es mir in diesem Moment. Ich bekam lediglich noch ein „Was bist Du bloß für ein armseliges Arschloch raus!“ und bin gegangen. Hatte ja auch schon längst Feierabend.

Jetzt muss ich mich erst mal erholen. Selbst Jahre später steigt mein Blutdruck noch in ungeahnte Höhen, während ich diese Zeilen schreibe. Das Endergebnis kennt Ihr ja bereits. Trotz meiner Faulheit, Inkompetenz und den wüsten Beschimpfungen meinerseits gegen mir anvertraute Patienten, bin ich letztendlich dann doch Krankenschwester geworden. Warum ich geblieben bin und wer sich alles außerdem noch ganz viel Mühe gegeben hat, das bis zum Schluß zu verhindern, erfahrt Ihr dann im letzten Teil.

Eure @emergencymum

2 Kommentare:

Sueder80 hat gesagt…

Da kommt bei mir auch die Wut hoch und ich kann verstehen das die Wut nach der Zeit immer noch da ist.

Anonym hat gesagt…

Ich bin heute auf dein Blog verwiesen worden und lese mich grade von hinten durch deine Einträge.
So einen Start und so ein Team wünscht man niemanden. Bin gespannt, wie es dir weiter ergangen ist!

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